Planungen für den Wiederaufbau nach 1944/45

Die Planungen für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg basieren auf den Ideen, Lehren und Erfahrungen der vorangegangenen Jahrzehnte; sie sind zudem von politischen und gesellschaftlichen Bedingungen und Vorgaben abhängig.

Zwei grundlegend verschiedene Ansätze beeinflussen die Stadtplanung und Architektur der Nachkriegszeit maßgeblich: Zum einen die traditionalistischen Ansätze, die die Prinzipien der heute so genannten europäischen Stadt fortführen, mit einem vertrauten Erscheinungsbild (Häuser mit schrägen Dächern), einer hohen Dichte im Zentrum und einer aufgelockerten Struktur in den Außenbereichen. Andererseits die der Anhänger des Internationalen Kongresses für Moderne Architektur (CIAM), die ihre Vorstellungen von einer aufgelockerten Stadt auf der Grundlage statistischer Studien und rationaler Parameter mit viel Licht, Luft und Sonne sowie flachgedeckten Häusern ohne Trennung der sozialen Klassen erfolgreich in den Medien verbreiteten. Alle Planungen für den Wiederaufbau schwankten zwischen diesen beiden Polen.

Obwohl sowohl Frankreich als auch die DDR zentralistisch regiert wurden, wurde der Wiederaufbau unterschiedlich organisiert. Die deutsche Bauakademie der DDR, die unter starkem politischem Einfluss stand, orientierte sich an den Methoden der UdSSR, verfolgte jedoch aufmerksam das architektonische Geschehen in Westeuropa, insbesondere in Frankreich. Der Wiederaufbau von Le Havre unter der Leitung von Auguste Perret erschien in organisatorischer, städtebaulicher, gestalterischer und bautechnischer Hinsicht als vorbildlich.

Brest

Der Wiederaufbau in Frankreich wurde vom 1944 gegründeten Ministerium für Wiederaufbau und Städtebau (Ministère de la Reconstruction et de l’Urbanisme, MRU) organisiert. Dieses übte eine Kontrolle über das Eigentum aus und wählte die mit dem Wiederaufbau beauftragten Architekten und Stadtplaner aus. Er wurde insbesondere von Raoul Dautry (1944-1946) und Eugène Claudius-Petit (1948-1953) geleitet. Er legte im Mai 1946 die Leitlinien für den Wiederaufbau fest, die eine moderne Stadtplanung befürworteten, ohne jedoch einen Stil vorzuschreiben. 

Mathon-Plan

Jean-Baptiste Mathon wurde bereits 1943 vom Commissariat technique à la reconstruction immobilière, dem Vorläufer des MRU, zum Stadtplaner und Chefarchitekten für den Wiederaufbau von Brest ernannt. Sein Wiederaufbauplan von 1948 orientierte sich an den städtebaulichen Plänen von Georges Milineau, dem ehemaligen Architekten der Stadt. Mathons Planung folgte drei Prinzipien: eine Stadt im Dienste des Staates, eine zum Meer hin offene Stadt und eine Stadt, die ihre Vergangenheit respektiert – wobei die Umsetzung dieser Prinzipien kontrovers diskutiert wurde. Mathon ließ die Täler, die die Stadt einschnitten, mit dem Material der zerstörten Gebäude auffüllen und ein künstliches Niveau schaffen, wodurch einerseits die Verbindungen innerhalb der Stadt verbessert und andererseits das Stadtzentrum stärker von den Hafengebieten getrennt wurde. Der Plan sah ein Schachbrettmuster mit zwei Hauptachsen vor: die Rue de Siam, die Haupteinkaufsstraße, die vom Penfeld in das neue Stadtzentrum mit dem Rathaus führt, und senkrecht dazu eine Achse vom Square Marc Sangnier über den Place Wilson zum Palais de Justice, die wichtige öffentliche Gebäude und Plätze im Stadtzentrum aneinanderreihte. Um das Stadtzentrum besser mit den umliegenden, 1945 eingemeindeten Stadtteilen zu verbinden, wurde das Stadtzentrum verlegt und befindet sich nun auf dem Place de la Liberté, der von einem neuen Rathaus dominiert wird. Die Anforderungen an eine autogerechte Stadt wurden durch den Bau der Avenue Georges Clemenceau – ein kreisförmiger Boulevard, der den Verlauf der ehemaligen Befestigungsanlage aufnimmt – und durch breitere und hierarchischere Straßen, aber auch durch eine zweite Brücke über den Penfeld erfüllt.

6.1 Jean-Baptiste Mathon: Plan de reconstruction et d’aménagement, 1948 

Die Neuaufteilung der Parzellen und ihre Folgen 

Bereits das Vichy-Regime hatte den Eigentümern verboten, ihre zerstörten Gebäude einzeln wiederaufzubauen. Mit dem am 15. Juni 1943 in Kraft getretenen Städtebaugesetz wurde die Baugenehmigung zur Pflicht, während der Plan der Reconstruction et d’aménagement eine Neuaufteilung der Parzellen und eine koordinierte Gestaltung der Gebäude ermöglichte. Um dieses Vorhaben umzusetzen, verhandelte der Staat mit den Grundbesitzern, legte die Parzellen neu fest und erstellte den Bebauungsplan. Die neuen Parzellen wurden von den Flurbereinigungsverbänden (associations syndicales de remembrement) bewertet und an die Grundbesitzer neu verteilt. Einige Hausbesitzer konnten nur eine Wohnung in einem Gebäudekomplex erhalten. 

6.2 Auszüge aus den “Leitsätzen für den Wiederaufbau” des MRU, Mai 1946 

6.3 Querachse: Banque de France – Place Wilson – Square Monseigneur Roull – Cité Administrative 

Dresden

In der DDR war das Ministerium für Bauwesen für die Stadtplanung, neue Baumethoden und die Ausbildung von Architektinnen und Bauingenieuren zuständig. Im April 1950 reiste eine Delegation von Beamten und Architekten nach Moskau. In der Folge wurden die “16 Punkte des sozialistischen Städtebaus” formuliert, um den sozialistischen Wiederaufbau zu definieren, der sich auf die “nationalen Bautraditionen” stützen sollte.

Auszug aus den 16 Punkten des Städtebaus: 

Punkt 1: […] Die Stadt ist in ihrer Struktur und architektonischen Gestaltung Ausdruck des politischen Lebens und des Nationalbewusstseins des Volkes. 

Punkt 6: Das Zentrum bildet den bestimmenden Kern der Stadt […] es ist der politische Mittelpunkt des Lebens seiner Bevölkerung. […] 

Punkt 9: Das Stadtbild und die künstlerische Form der Stadt werden durch die Plätze, Hauptstraßen und die dominierenden Gebäude im Zentrum der Stadt (in größeren Städten durch Wolkenkratzer) bestimmt. […]

1951 wurde in Ost-Berlin die Deutsche Bauakademie gegründet, um Forschung im Bereich Städtebau und Architektur zu betreiben, Richtlinien für Gestaltung und Technik festzulegen und Bücher zu diesem Thema zu veröffentlichen.

Die Phasen des Wiederaufbaus 1945-1949 – Erste Pläne für den Wiederaufbau 

Bereits im September 1945 traten Richtlinien für Bebauungspläne in Kraft, um zu verhindern, dass die Errichtung von Behelfsbauten die neuen Pläne behinderte. 

1946 wurde der Ideenwettbewerb “Das Neue Dresden” veranstaltet, an dem 816 Fachleute und Laien teilnahmen. 

6.5 Hans Hopp: Entwurf für den Wiederaufbau, 2.6.1945, inspiriert vom “Plan Voisin” für Paris von Le Corbusier, 1925 

6.6 Fritz Müller, Grafiker, Beitrag zum Ideenwettbewerb “Das neue Dresden” 1946 

6.7 Mart Stam, Entwurf für den Wiederaufbau des Stadtzentrums, 1948 

1950-1954 – Bauen im Stil der nationalen Traditionen.

Auf der Grundlage des DDR-Baugesetzes vom September 1950 wurden die Grundstückseigentümer entschädigungslos enteignet und das Stadtzentrum in Volkseigentum überführt, um die notwendige Freiheit für eine neue Stadtplanungspolitik zu gewinnen.

In Dresden wurden daraufhin drei städtebauliche Hauptachsen festgelegt: eine Ost-West-Achse durch das Stadtzentrum, die zur neuen repräsentativen Straße der Parade wurde; eine Süd-Nord-Achse durch das Stadtzentrum und die Neustadt sowie eine Nord-Süd-Achse, die vom Bahnhof über das Rathaus im Osten des Stadtzentrums zur Elbe führte. Der Schwerpunkt lag auf repräsentativen öffentlichen Gebäuden und der Gestaltung des Stadtzentrums im Stil des sozialistischen Klassizismus. Nur wenige Wohnungsbauprojekte, wie in der Grunaer Straße oder am Altmarkt, wurden in dieser Phase realisiert. 

Ab 1955 – Normierung, Typisierung und Industrialisierung 

Die Anweisungen, die 1954 auf der Konferenz des Verbands der Baumeister der Sowjetunion in Moskau formuliert wurden, zielten darauf ab, das Bauen wirtschaftlicher zu gestalten. Sie wurden ab Ende der 1950er Jahre in Neubauten umgesetzt. In Frankreich konnte man sich auf die Systeme Camus, Barets und Agglogiro stützen, während sich in der DDR eine eigene Theorie und Praxis des modularen Bauens entwickelte. Diese führte vom Bauen in großen Blöcken zum industrialisierten Bauen in Plattenbauweise. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war in Dresden der Bau der Prager Straße zwischen 1963 und 1970 nach dem Vorbild des Wiederaufbaus der Lijnbaan in Rotterdam.